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Mongolia

Roman - btb-TB

Erschienen am 05.01.2009
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442738526
Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Eine faszinierende literarische Reise ins Herz der Mongolei Sie nannten ihn buruu nomtom, den Unangepassten. Er war Fotograf und ist im Altaigebirge verschollen. Jahre später versucht ein pensionierter Diplomat, das Rätsel um den Fotografen zu lösen und stößt auf ein Labyrinth von Spuren, die ihn tief in die mongolische Kultur, das Nomadenleben und eine merkwürdige Variante des Buddhismus führen.

Leseprobe

Peking - Ulaanbaatar »Der Westler« wurde er von den Nomaden genannt, als er durch die Weiten der Mongolei reiste, denn sie konnten seinen Namen nicht aussprechen. Bevor ich den Bericht in der Zeitung las, hatte ich lange nichts mehr von ihm gehört. Er war vor fünf Jahren aus China zurückgekehrt und aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden. Seine plötzliche Rückkehr fiel mit dem Ausbruch der atypischen Lungenentzündung in Asien zusammen, worin mancher eine Erklärung gesehen haben mag, aber ich nicht. In der Zeitung steht, er sei bei einer Schießerei zwischen der Polizei und einer Kidnapperbande ums Leben gekommen, als er in der Favela Paväozinho das Lösegeld für seinen jüngeren Sohn zahlen wollte. Dem Alter nach kann es nur der Junge sein, der in Shanghai zur Welt gekommen war, kurz bevor er den Entschluß faßte, nach Brasilien zurückzugehen und ein neues Leben zu führen, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein. Allem Anschein nach ist er am Dienstag morgen heimlich aus dem Haus gegangen, um das Lösegeld zu zahlen. Er hat niemanden informiert, schon gar nicht die Polizei. Er hat sich strikt an die Anweisungen der Entführer gehalten. Trotzdem sind ihm die Polizisten gefolgt, ohne daß er es merkte. Der Junge wurde gerettet, er aber starb an Ort und Stelle. Er war zweiundvierzig Jahre alt. Natürlich wird niemand dafür zur Verantwortung gezogen werden. Die Polizei behauptet, er habe sich unvorsichtig verhalten. Ich habe einen brasilianischen Diplomaten angerufen, der in Warschau lebt und ihn von klein auf gekannt hat. Sie waren seit ihrer Kindheit befreundet. Er war tief erschüttert. Er wollte das nächste Flugzeug nach Brasilien nehmen, noch am selben Abend ging eine Maschine ab Frankfurt. Er war schon auf dem Weg zum Flughafen und hatte keine Zeit, länger mit mir zu sprechen. Wie er von gemeinsamen Freunden gehört hatte, war die Polizei anscheinend an der Entführung beteiligt. Er soll versucht haben, direkt mit den Entführern zu verhandeln, aber die Polizisten hatten ihn und die Gangster überwacht und ihre Telefongespräche abgehört und daraufhin beschlossen, sich zu rächen. Die Beerdigung fand am nächsten Vormittag statt. Als ich den Artikel las, war es schon zu spät. Seit ich pensioniert bin, stehe ich nicht mehr zu einer bestimmten Zeit auf. Anfangs bin ich noch morgens am Strand oder an der Lagoa gelaufen, bevor ich die Zeitungen las. Ich hatte versucht, mir einen Rhythmus anzugewöhnen. Am letzten Heiligabend hatte ich gerade noch ein scharfes Bremsen und einen dumpfen Aufprall gehört, bevor ich mich umdrehte und sah, wie ein fünfjähriges Mädchen im weißen Bikini, Tochter von einer der vielen Bettlerfamilien oder Leuten aus den Vorstädten, die am Wochenende an den Strand kommen und sich unter den Palmen auf den Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen der Avenidas niederlassen, durch die Luft wirbelte, nachdem sie von einem Auto mit hoher Geschwindigkeit erfaßt worden war, und dann vor den entsetzten Blicken der Strandbesucher, des Autofahrers und der Mutter auf die Straße fiel und leblos liegenblieb. Wahrscheinlich war die Kleine auf die Fahrbahn gelaufen, weil sie dachte, es sei Sonntag und die Avenida deshalb für den Autoverkehr gesperrt. Sonntag war vermutlich der Tag, an dem sie sonst immer mit ihrer Mutter an den Strand ging. Das Problem war, daß es nicht Sonntag war, auch wenn es den Anschein hatte; es war Heiligabend. Das hätte überall, in jeder Stadt passieren können, sagte ich mir immer wieder, versuchte mich gerade selbst davon zu überzeugen, als ich hundert Meter weiter auf eine Traube von Schaulustigen und Polizisten stieß, die sich um einen der Kleinbusse drängte, wie sie, immer völlig überfüllt, zwischen Säo Conrado und Copacabana hin und her fahren. Ein junger Mann in Badehose, den ich fragte, was passiert sei, antwortete barsch: »He, Opa, glaubst du vielleicht, zu Weihnachten wird nur Putern der Hals umgedreht?« Ein Gangster hatte ein Mitglied einer anderen Bande »erledigt«, am hellichten Tag, direkt a Leseprobe