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Vergeßt mich

Dumont Speicher

Erschienen am 03.03.2006
7,50 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783832179687
Sprache: Deutsch
Umfang: 60 S.
Format (T/L/B): 1 x 18 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Ein Mann und seine Freundin laufen unter dem klaren Novemberhimmel durchs Zentrum von Madrid: Uniformierte, Falangistenfahnen und Franco-Devotionalien erinnern an den soeben zu Ende gegangenen Aufmarsch. In Madrid aber kommt auch wieder das Bild eines Freundes vor Augen, und mit dem Bild eine Geschichte, "nachdem es mir gelungen war, eine Weile nicht an ihn zu denken". "Vergeßt mich" ist eine Erzählung in Bildern und Fantasien, Erinnerungen an ein letztes Telefonat und wie hinterher gerufen: "Vergeßt mich, drei Silben, und aus weiter Ferne: Vergeßt mich."

Autorenportrait

Marcel Beyer wurde 1965 in Tailfingen/Württemberg geboren, ist in Kiel und in Neuss aufgewachsen, lebte bis 1996 in Köln - seitdem in Dresden. 1987 bis 1991 Studium der Literaturwissenschaften in Siegen, Magister (Abschlussarbeit: Friederike Mayröcker. Eine Bibliographie 1946-1990. Frankfurt/M. etc. Peter Lang 1992). 1987 bis heute Zusammenarbeit mit Norbert Hummelt: Auftritte, Video- und Audiokassetten, Gemeinschaftstexte, Übertragungen. 1988 Einrichtung des Friederike Mayröcker Archivs der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. 1989 bis 2000 Herausgeber der Reihe "Vergessene Autoren der Moderne", gemeinsam mit Karl Riha. 1992 bis 1998 Mitarbeit bei Spex. 1998 gemeinsam mit Kathrin Achinger (Stimme) und Matthias Arfmann (Ton) Projekt zu Brion Gysin. Gastdozenturen, Vortragsreisen, Writer in residence (London, Warwick, New York, Leipzig, Bamberg, Tokio, Kobe, Raketenstation Hombroich). Interviews, Aufsätze, Platten- und Buchbesprechungen für Zeitungen und Zeitschriften, Linernotes. Auszeichnungen Marcel Beyer wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, darunter der Johannes-Bobrowski-Medaille zum Berliner Literaturpreis 1996 und dem Uwe-Johnson-Preis 1997. 2001 erhielt er den Heinrich-Böll-Preis. Veröffentlichungen Obsession. Bonn: Okeanos Presse 1987 (Prosa). Kleine Zahnpasta. Gedichte 1987-1989. Paris: dead language press 1989 (100 Ex.). Buchstabe Geist Buchstabe. 12 hilflose Einbrüche ins Textgeschehen. Köln: Copyzierte Angelegenheit 1990 (10 Ex.). Das Menschenfleisch. Roman. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1991. Walkmännin. Gedichte 1988 / 1989. Neu-Isenburg: Patio 1991 (200 Ex). Brauwolke. Gedichte. Papier: John Gerard, Papiergüsse: Klaus Zylla. Berlin: Uwe Warnke 1994 (20 Ex.). Flughunde. Roman. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1995. HNOTheater / Im Unterhemd. Zwei Gedichte. Berlin: Uwe Warnke 1995 (100 Ex.). Falsches Futter. Gedichte. Frankfurt / M.: Suhrkamp 1997. Schilf. Gedicht. Banholt: In de Bonnefant 1998 (36 Ex.). Spione. Köln: DuMont 2000. Zur See. Prosa. Radierungen: Andreas Zahlaus. Berlin: Uwe Warnke 2001 (20 Ex.). Erdkunde. Köln: DuMont 2002. Nonfiction. Köln: DuMont 2003. Editionen Rudolf Blümner: Der Stuhl / Die Ohrfeige und anderes literarisches Kasperletheater. Siegen: Vergessene Autoren der Moderne 1988. Ernst Jandl, Friederike Mayröcker, Andreas Okopenko: Gemeinschaftsarbeit. Siegen: experimentelle texte 1989. Gertrude Stein: Spinnwebzeit / Bee Time Vine und andere Gedichte. Zürich: Arche 1993 (gemeinsam mit Barbara Heine und Andreas Kramer). George Grosz: Grosz Berlin. Hamburg: Nautilus 1993 (gemeinsam mit Karl Riha). Rudolf Blümner: Ango laïna und andere Texte. München: edition text + kritik 1993 (gemeinsam mit Karl Riha). William S. Burroughs. Eggingen: Edition Isele 1995 (gemeinsam mit Andreas Kramer). Jahrbuch der Lyrik 1998 / 99. Hinreichend lichte Erklärung. München: C. H. Beck 1998 (gemeinsam mit Christoph Buchwald). Friederike Mayröcker: Gesammelte Prosa 1946-1976. Frankfurt / M.: Suhrkamp 2001 (= Friederike Mayröcker: Gesammelte Prosa, hrsg. von Klaus Reichert). Übertragungen . aus dem Englischen (Gertrude Stein, William S. Burroughs, E. E. Cummings, Elsa von Freytag-Loringhoven), zuletzt: Michael Hofmann: Feineinstellungen. Gedichte. Köln: DuMont 2001) . aus dem Estnischen (in: Poesie der Nachbarn. Die Freiheit der Kartoffelkeime. Hrsg. Von Gregor Laschen) . aus dem Niederländischen (H.H. ter Balkt)

Leseprobe

Am späten Vormittag, als wir uns sicher waren, der Novemberhimmel über Madrid werde für eine Weile ruhig bleiben, stiegen wir in ein Taxi und ließen den Chauffeur bis an den Rand des Stadtplans fahren, den man uns im Hotel gegeben hatte. Heute morgen fiel noch der feine, schwere Regen, mit dem die Stadt uns vor drei Tagen empfangen hat, wir wachten in der Frühe auf, wir schliefen weiter, dann riß der Film über der Hochebene, die Wolken nahmen Formen an, und nun sah man schon keine Pfützen mehr auf dem Trottoir, die Schuhe der Sonntagsspaziergänger glänzten, feucht schimmerte der Asphalt. Zwischen den Häusern tauchte die Sonne auf, wir fuhren mit heruntergedrehten Fenstern, wir in Madrid allein, in die Polster gesunken, es roch nach kaltem Rauch, der Stadtplan lag auf meinen Knien. Wir sahen das Telegraphenamt, »der Kommunikationspalast«, sie unterhielt sich mit dem Taxifahrer, lachte, übersetzte mir, »Die Einheimischen nennen das Gebäude: Unsere Liebe Frau von der Telekommunikation«. Der Fahrer wechselte die Spur, im Rückspiegel sah er mich an, er lachte auch. Ich habe nicht achtgegeben, ob er den Blick in den Rückspiegel mied, kaum daß wir in die Gran Vía eingebogen waren, oder ob sein Gesicht sich nach und nach verdunkelte. Langsam schoben sich die Kolonnen die Straße hinauf, Reisebusse, Taxis, Familienkutschen aus dem Umland, überall standen Absperrgitter entlang des Bordsteins aufgereiht, und alle paar Meter lehnte ein Polizist lässig an seinem Motorrad auf dem Mittelstreifen. Werden die Absperrungen hier jeden Sonntag aufgestellt, sind sie eben angeliefert, sind sie gerade wieder eingesammelt worden, hat eine Demonstration stattgefunden, oder fahren wir dem Ende eines Umzugs hinterher, wollten wir wissen. Spätestens da, als sie den Taxifahrer fragte, zogen sich die Falten über seiner Nase zusammen, traute er uns nicht mehr.»Ja, ja, ganz recht, so etwas wie ein Umzug.«Abwehr in seiner Stimme, er ließ das Nummernschild des Lieferwagens vor uns nicht aus den Augen, als müsse er sich auf den Verkehr konzentrieren, oder als blende ihn mit einem Mal die Sonne, die nun aus einem wolkenlosen Himmel auf die Stadt herunterschien. Der Taxifahrer war der erste Fremde seit unserer Ankunft, mit dem wir eine längere Unterhaltung angefangen hatten, jetzt war auch das vorbei.