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Kapitalismuskritik im Christentum

Positionen und Diskurse in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik, Religion und Moderne 5

Erschienen am 15.08.2016, 1. Auflage 2016
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593505770
Sprache: Deutsch
Umfang: 434 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 21.5 x 14.2 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Geht man der Frage nach, wo die geistigen Wurzeln der sozialen Marktwirtschaft liegen, stößt man auf die Kapitalismuskritik, die in den 1920er- und 1930er-Jahren gerade auch seitens der christlichen Konfessionen geübt wurde. In diesem Buch werden die Positionen wichtiger Protagonisten und Vordenker dieser Denkrichtung analysiert: Paul Tillich, Georg Wünsch, Karl Barth, Oswald von Nell-Breuning und Joseph Höffner. Daneben zeigt der Band exemplarisch, inwieweit die protestantische Sozialethik und die katholische Soziallehre Einfluss auf die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik genommen haben.

Autorenportrait

Prof. Dr. Matthias Casper, Prof. Dr. Karl Gabriel und Prof. Dr. Hans-Richard Reuter forschen am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster.

Leseprobe

Die Kapitalismuskritik Paul Tillichs und des Kairos-Kreises Erdmann Sturm Paul Tillich und der Kairos-Kreis Die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin hatte für das Wintersemester 1922/23 zu einer "politischen Arbeitsgemeinschaft" eingeladen. Nicht unterschiedliche Redner beliebiger politischer Richtungen sollten hier referieren, sondern es sollte "eine geschlossene Gruppe mit einheitlicher Grundrichtung sich darstellen und eine Grundanschauung allseitig durchführen". Gemeint war der Kreis der Blätter für Religiösen Sozialismus, der bald den Namen "Kairos-Kreis" erhielt. So sind die Referenten des politischen Seminars identisch mit dem Berliner Kairos-Kreis. Schon das Thema des Seminars - es lautete "Erneuerung des Sozialismus" - ließ erkennen, um was es diesem Kreis ging: um einen neuen Sozialismus, der den nach ihrer Auffassung auf das rein Ökonomische verengten, zur Orthodoxie erstarrten, bürokratischen Sozialismus überwinden sollte. Die Leitung des Seminars hatte der Privatdozent an der Berliner theologischen Fakultät Paul Tillich (1886-1965), der unbestritten der führende Theoretiker des Kairos-Kreises wie überhaupt des religiösen Sozialismus in Deutschland war. Er war die zentrale Integrationsfigur des Kreises, ein Meister der Vermittlung zwischen den unterschiedlichsten Standpunkten. Das Thema seines Referats ("Formkräfte der abendländischen Geistesgeschichte") zeigt an, in welchem geistigen Rahmen der neue Sozialismus konzipiert werden sollte. Als weitere Referenten wurden genannt: Carl Mennicke (über "Sozialismus in der religiösen Bewegung der Gegenwart"), Eduard Heimann (über "Der Rang der Wirtschaft"), Alexander Rüstow (über "Marxismus und Gemeinschaft" sowie über "Gestalterkenntnis als philosophische Grundlegung des Sozialismus"), Adolf Löwe (über "Soziologie der deutschen Geschichte" sowie über "Soziologie der Kunst") und Arnold Wolfers (über "Macht und Gemeinschaft in der Weltpolitik"). Den Abschluss bildeten Tillich und Mennicke mit dem Thema "Der Sozialismus als Wirklichkeit und als Aufgabe". Damit sind schon die wenigen Mitglieder des Berliner Kairos-Kreises genannt. Anfangs hatten auch der Berliner Pfarrer Günther Dehn und der Privatdozent für Neues Testament Karl-Ludwig Schmidt dazu gehört. Ein einheitliches Programm, dem jeder von ihnen hätte zustimmen können, hatte der Kreis nicht. Im Unterschied zu anderen religiös-sozialistischen Gruppen war er ein kleiner, elitärer Zirkel von Intellektuellen ohne Verbindung zur Kirche oder zum organisierten Sozialismus. Er wollte keine "Bewegung" sein oder anstoßen, sondern harte theoretische Arbeit leisten. Ihr Austausch- und Publikationsorgan waren die von Carl Mennicke herausgegebenen Blätter für Religiösen Sozialismus, eine aus wenigen Seiten bestehende Zeitschrift. Sie hatte nur eine geringe Verbreitung und hat von 1920 bis 1927 existiert. Als im Jahre 1925 Heimann als Professor für Volkswirtschaftslehre an die Universität Hamburg und Tillich an die Universität Marburg berufen wurde, konnte der Kreis nicht mehr regelmäßig in Berlin zusammenkommen. Aber man traf sich immer wieder auf Tagungen und Konferenzen, so bei der Heppenheimer Konferenz 1928, wo Henrik de Man und Eduard Heimann zum Thema "Die Begründung des Sozialismus" sprachen. Tillich und Heimann waren auch die Herausgeber einer neuen Zeitschrift, der Neuen Blätter für den Sozialismus. Zeitschrift für politische und geistige Gestaltung, die - anders als Blätter für Religiösen Sozialismus - eine sozialdemokratische Zeitschrift sein wollte, aber eine geistige und politische Erneuerung des doktrinär erstarrten Sozialismus anstrebte. Sie hatte vor allem die "Mittelschichten" im Blick, die wie das Proletariat zu den Verlierern im System des Kapitalismus gehörten, dem Sozialismus aber distanziert, wenn nicht gar feindlich gegenüberstanden. Die Zeitschrift begann 1930 zu erscheinen. Tillich und Heimann verfassten für das erste Heft je einen programmatischen Aufsatz. Das letzte Heft ers