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Verfolgter Unglaube

Atheismus und gesellschaftliche Exklusion in historischer Perspektive

Erschienen am 07.09.2018, 1. Auflage 2018
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593390604
Sprache: Deutsch
Umfang: 380 S.
Format (T/L/B): 2.4 x 21.3 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Menschen, die die Existenz eines Gottes verneinen, sahen sich in der gesamten Geschichte Europas Verfolgungen ausgesetzt. Atheismus war hier vor allem eine Konfrontation mit der christlichen Lehre. Angesichts zunehmender weltweiter Verfolgung nichtreligiöser Menschen in der Gegenwart wirft dieser interdisziplinär und interepochal ausgerichtete Band den Blick auf den gesellschaftlichen Umgang mit Atheismus zwischen dem Mittelalter und dem 20. Jahrhundert. Wo liegen die Wurzeln der Diffamierung von "Gottlosen"? Gab es theologische oder juristische Grundlagen, "Gottesleugner " zu verurteilen und zu bestrafen? Welche Formen der sozialen Exklusion übte man aus? Wie reagierten die Betroffenen auf die Prozesse, die Verbrennung ihrer Schriften und den Entzug ihrer Rechtsfähigkeit? Und wie gingen die Gesellschaften außerhalb Europas, etwa in Indien oder Ostasien, mit dem Thema Unglauben um?

Autorenportrait

Susan Richter ist Professorin für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Kiel.

Leseprobe

Einführung Susan Richter (unter Mitarbeit von Lukas Müller und Maike Wendland) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und säkularer Staat, in dem das Prinzip freier Meinungsäußerung herrscht und durch die Verfassung (Artikel 5, Absatz 1 des Deutschen Grundgesetzes) geschützt ist. Somit ist auch das Bekenntnis, frei von einem Glauben an eine göttliche bzw. übernatürlich gedachte Macht zu sein, eine persönliche Angelegenheit. In einigen Teilen der Welt ist Nichtreligiosität, Religionslosigkeit bzw. Atheismus jedoch eine Straftat und Anlass zur Verfolgung. Internationale Presseberichte der letzten Jahre verweisen darauf, dass die Diffamierung und aktive Verfolgung von "Gottlosen" tatsächlich eher zu- als abgenommen hat. Indonesien ist ein solches Beispiel. Es handelt sich um einen Staat mit verfassungsrechtlich erklärter Religionstoleranz. Dennoch ist es vorgeschrieben, sich zu einer der sechs anerkannten Religionen zu bekennen. Unglaube und die daraus folgende Entehrung der sechs akzeptierten Glaubensrichtungen wird als Straftatbestand eingeschätzt. The Strait Times aus Singapur berichtete im Februar 2012 in ihrem Artikel "Is Atheism illegal in Indonesia? Not believing in God has serious consequences in usually plural Indonesia" über den Umgang mit einem Facebook-Post unter dem Titel "God doesn't exist". Dem Autor des Posts wurde von der aufgebrachten Menge seines Umfeldes nicht nur Gewalt angedroht, sondern er wurde als Reaktion der Behörden "zu seinem Schutz" in Haft genommen, wegen Blasphemie angeklagt und zuletzt auf Grundlage des Electronic Information and Transaction Law (I.T.E.) mit der Begründung "trying to incite religious hatred" von einem Gericht in Padang zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Für Indonesien gilt: "Atheism is a violation of the state ideology". Die Artikulation von Unglauben im öffentlichen Raum ist daher problematisch, gefährlich und strafbar. In öffentlichen Foren schreiben Atheisten deshalb nur unter Pseudonymen, um nicht verfolgt zu werden. Der Administrator der Facebook-Gruppe: "You Ask Atheists Answer" erhielt mehrfach Morddrohungen, ohne als bekennender Atheist darauf zählen zu können, von der Regierung vor Übergriffen beschützt zu werden. Ähnliches findet sich im Nachbarland Malaysia: Die Zeitung The Australian berichtete am 14. August 2017 in ihrem Artikel "State hunts down atheist in Malays", die malaysische Regierung habe angekündigt, Atheisten zu jagen und die Verbreitung von Gottlosigkeit zu bestrafen. Im Zuge der Generierung von Wählerstimmen zielte die Regierung gemäß dem Artikel darauf, sich als "Defender of the faith" darzustellen. Interessanterweise wurde hier von der Regierung Malaysias ein sehr alter, schon im 16. Jahrhundert Henry VIII (1491-1547) und seinen Nachfolgern wie Edward VI (1537-1553) vom Parlament verliehener Titel (zur Verteidigung des anglikanischen Glaubens) aus der englischen Königstitulatur und damit der ehemaligen Kolonialmacht bemüht, wenn auch nun muslimisch umgedeutet. Shahidan Kassim, ein ranghoher Mitarbeiter im Prime Minister's Department begründete das geplante Vorgehen seiner Regierung: "Atheism is against the Malaysian constitution. Which enshrines a belief in god". Atheisten können im schlimmsten Fall über das Sharia-Gesetz angeklagt und der Apostasie für schuldig befunden werden. Nicht unüblich ist es laut Artikel, dass Atheisten ihre Ansichten auch gegenüber der eigenen Familie verstecken, dass sie nach einem Outing von ihrem Umfeld angehalten werden, ihren "Glauben zu reparieren", dass ihre Social-Media-Accounts geschlossen werden oder sie aufgefordert werden, sich in sogenannte islamic rehabilitation centres zu begeben. Viele Betroffene berichten, dass sie Medikamente einnehmen, um mit den Situationen von Diffamierung und Verfolgung leben zu können. Die Situation in Indien, Bangladesch, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten ist ähnlich. In Ägypten wurde am 10. Januar 2015 ein Minderjähriger wegen e