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Zwei Leben und ein Tag

Roman

Erschienen am 03.11.2008
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442738441
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S.
Format (T/L/B): 2.7 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Die berührende Erzählung einer tragischen Liebesgeschichte Nach einem Nomadenleben in Amerika, Südostasien und Osteuropa haben sie sich getrennt: Edith und Leonard, zwei Menschen, die nicht wieder zusammen finden und nicht voneinander lassen können. Was sie verbindet, ist ihr Sohn Gabriel und die Frage, was diesem in seiner Kindheit zugestoßen ist und ihn zum Außenseiter gemacht hat. In langen Briefen an den Ex-Mann, die sie freilich nie abschicken wird, versucht sich Edith noch einmal über ihr Leben und ihr Schicksal Klarheit zu verschaffen und darüber, woran ihre Liebe zerbrach - und ihr Glück.

Autorenportrait

Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

Leseprobe

Unser Fluß war der Hudson River. Wir haben ihn in seiner ganzen Länge verfolgt, wir sind an beiden Ufern entlanggefahren, oft nah am Wasser, nie habe ich ihn anders gesehen als mächtig in seiner Breite und grau von den Schatten seiner bewaldeten Ufer, grau von dem Schlamm, den er von dem fruchtbaren Hügelland seines Oberlaufs mitnimmt. Wir sind an seinen steinigen Ufern gesessen, jede Stadt an seinem Unterlauf hat ihre Parks mit Holztischen und Bänken für Picknicks, ihren Kinderschaukeln, Sandkisten und Abfallkübeln am Ufer, Irvington, Poughkeepsie, aber er ist kein Fluß, an dem man die Kinder allein spielen läßt, kein Fluß zum Baden, er ist ein fremder Riese auf der Durchreise, der kalt und streng seine Schneise durch die Berge schlägt, und nur selten spannen sich leicht gewölbte Brückenkonstruktionen über ihm aus, einschüchternde Stahlfesseln aus nächster Nähe, spinnwebenleichte Spitzenmuster aus der Ferne. Irgendwo zwischen Tarrytown und Irvington weitet der Hudson sich zum Meeresarm, verliert seine Strömung, drängt die Wälder zurück, und die Segelboote und Bojen tanzen auf seinem geriffelten Wasser, als gäbe es keinen Flußlauf mehr, nur diesen großen See zwischen den Felsen und der Metropole in der Ferne, unentschlossen, wohin er sich von der Strömung ziehen läßt. Als wohne man einem Unheil bei, so sieht man seinem Ende entgegen, die taubengraue Skyline von Manhattan steht am Horizont wie ein schwacher Damm. Das freie Auge kann nicht erkennen, wo sich das Salzwasser in den Schlammfluten auflöst und das Süßwasser sich mit dem Atlantik vermischt. Es ist kein abruptes Ende, es ist wie ein Aufgeben, als schwänden die Kräfte, die ihn zur Mündung treiben, und er ließe die salzigen Wassermassen des Atlantiks ohne Widerstand tief in sein weit offenes Bett. Auch der Tod eines Flusses ist furchterregend. Leonard, warum gehst Du nicht dorthin zurück, ins Hudson Tal, nach Saratoga, nach Amerika? Du sagst, Amerika sei Dir fremd geworden, Du verstehst es nicht mehr, Du liebst es nicht einmal. Aber Du hast seit dreißig Jahren Heimweh, ich höre es in Deiner Stimme, wenn Du vom Hudson redest oder wenn Du sagst, wie sehr das Meer Dir fehlt. Ich spüre es, wenn ich Dich besuche, wie fehl am Platz Du Dich fühlst. Du rufst Dir seine Kindheitslandschaften wach, und es ist wie ein Besuch zu Hause. Der Hudson River an seinem Oberlauf, dort, wo er bereits ein gezähmter Fluß ist und sogar Inseln in seinem Bett stehenläßt. Du hast Dir dieses Haus auf dem Hang über der Donau gekauft, weil sie Dich da, kurz vor Budapest, an den Hudson bei Albany erinnert. Dort kann man von seinem Ufer den braunen Wellen und Kreiseln der Stromschnellen zusehen, wenn die tiefstehende Sonne Lichtfunken über das Wasser springen läßt. Ich habe ein Foto von Dir, von dem ich nicht mehr genau weiß, wo ich es aufgenommen habe. Da sitzt Du auf einer ramponierten Parkbank an einem Flußufer, einem Stück Wiese mit tief herunterhängenden Weiden und einem schmalen Strand mit runden, vom Wasser abgeschliffenen Granitfelsen. Du schaust nicht in die Kamera, Du scheinst gar nicht zu merken, daß ich Dich durch die Linse beobachte. Du blickst auf das Wasser mit einer resignierten Traurigkeit. Ich habe überlegt, ob Du schon so grau und müde ausgesehen hast, als wir das letzte Mal zusammen am Hudsonufer in Poughkeepsie waren. In Albany, nahe der Universität, eine halbe Stunde vom Hudson entfernt, war diese Galerie mit schlechter zeitgenössischer Kunst, Vernissagebesucher standen mit Weingläsern herum, und ich wollte gerade gehen, zum Fluß hinunter, bevor die Sonne unterging. In jeder Stadt suche ich das Wasser, um mich zu orientieren. Du kamst auf mich zu, feingliedrig, dunkelhaarig und aus heutiger Sicht unvorstellbar jung, verbeugtest Dich wie ein freundlicher Diplomat und sagtest, Welcome to America. Du warst zu Hause, und ich war der Gast, Du standest genau dort, wo Du hingehörtest, im Mittelpunkt Deiner Welt, zwanzig Meilen von Saratoga entfernt, wo Du aufgewachsen bist. Jeder von u Leseprobe