0

Familienfest

Roman

Erschienen am 25.08.2005
Auch erhältlich als:
9,50 €
(inkl. MwSt.)

Nachfragen

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442733491
Sprache: Deutsch
Umfang: 416 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 18.8 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Eine kraftvolle Familiensaga über ein ganzes Jahrhundert. Bei den Leondouris wird oft und ausgelassen gefeiert. Und immer, wenn alle Familienmitglieder um den reich gedeckten Tisch versammelt sind, erzählt die Hausherrin Edna mitreißende Episoden aus der wilden, ereignisreichen Familiengeschichte. Diese verweben sich mit den Biografien der um den Tisch versammelten zu einer kraftvollen Familiensaga, die vor dem Hintergrund der zur Metropole wachsenden Hafenstadt Boston spielt.

Autorenportrait

Anna Mitgutsch, 1948 in Linz geboren, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und amerikanischen Universitäten, lebte und arbeitete viele Jahre in den USA. Sie ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen und erhielt für ihr Werk zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Solothurner Literaturpreis sowie jüngst den Adalbert-Stifter-Preis. Sie übersetzte Lyrik, verfasste Essays und zehn Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden.

Leseprobe

Edna In den Schlafzimmern waren schon die Kisten für die Übersiedlung gepackt, und dazwischen türmten sich Kartons voller Dinge, die sich trotz Ednas Freude am Wegwerfen angesammelt hatten und die ihr nun am Ende auch überflüssig erschienen: Hadassa hatte sie mit ihren flüchtigen, schrägen Schriftzügen daraufgeschrieben, Heilsarmee, Caritas. Sie umstanden die Betten wie ungeduldige Gerichtsvollzieher, die zum Aufbruch drängten und die Zimmer noch vor dem Auszug unbewohnbar machten. Der Mangel an Licht hatte Edna schon immer gegen diese Räume aufgebracht. Vor allem das große Schlafzimmer mit dem begehbaren Kleiderschrank, in dem Morris' Anzüge seit fünf Jahren ungelüftet hingen, deprimierte sie. Die Glastüren mit den halbkreisförmigen Balkonen aus schwarzem Schmiedeeisen schienen der gegenüberliegenden Hausmauer so nah - kaum zu glauben, daß eine Straße dazwischen lag. Am Ende ihres Lebens waren sie und Morris in diesem exklusiven Bezirk Bostons angekommen, hatten die Enklave alter protestantischer Mayflower-Familien infiltriert - in zwei Generationen von Ellis Island nach Beacon Hill, die Erfüllung kühnster Einwandererträume. Aber es hatte ihnen nicht den Triumph gebracht, den sie erwartet hatten. Edna war nie heimisch geworden in den Räumen des zweistöckigen viktorianischen Backsteinhauses in der abschüssigen Pinckney Street, das sich wie ein nicht ganz legitimer Eindringling mit zwei seiner drei Fenster auf die Schmalseite des Louisburg Square drängte. Zwanzig Jahre früher hätte es ihr Genugtuung verschafft, in der vornehmen Stille der Mount Vernon Street ihre Schritte auf dem Kopfsteinpflaster zu hören, als ginge sie durch die hallenden Flure eines alten Hauses. Jetzt im Alter sehnte sie sich nach freien Ausblicken und nach Menschen, die mit ihrem Alltag beschäftigt waren, wenn sie auf die Straße ging; die Stille unter den Ahornbäumen, selbst die Schönheit der in der Dämmerung leuchtenden Schlehdornbüsche, die dunkle Feuchtigkeit all der an den Hauswänden wuchernden Ranken, die im Sommer die Räume vollends verdunkelten, bedrückten sie. Es würde ihr leichtfallen, dieses Haus zu verlassen, es hatte nicht ihnen gehört, ein Enkel ihres Onkels Paul hatte es an sie vermietet, und es hatte noch niemandem in der Familie Glück gebracht. Es war die Gegenleistung für sechs Jahre Gefängnis gewesen, die Paul für einen anderen abgesessen hatte, Teil des Schweigegeldes, mit dem ein Gouverneur von Massachusetts, dessen Vorfahren seit Generationen auf Beacon Hill residierten, sich die Schande, als Betrüger entlarvt zu werden, von Paul hatte abnehmen lassen. Wie einen Fluch hatte er das Haus für alle Zeiten der Familie vermacht, unverkäuflich, an niemanden zu vermieten als an die Mitglieder der Familien Lewis und Leondouri, zur unauslöschlichen Erinnerung an den Preis, den ein Einwanderer aus einem podolischen Stetl zu zahlen hatte, um unter Bostons Brahminen, selbst wenn sie Ganoven waren, leben zu dürfen. Edna hatte ihren Onkel Paul kaum gekannt, niemand hatte ihn gekannt, er war die graue Eminenz, zu der man ging, wenn man aus eigener Kraft nicht mehr weiterwußte; wenn es galt, einen Sohn vor dem Vietnamkrieg zu bewahren, einen Spitalsplatz für eine Sterbende zu ergattern, dann ging man zu Paul, und man besuchte ihn nicht in seinem Haus auf Beacon Hill, sondern kam in sein Büro und trug über den großen Schreibtisch hinweg sein Anliegen vor. Bei Hochzeiten, Bar Mitzwahs und bei Begräbnissen stand er unter den Gästen, und in der Erinnerung kam es den Familienmitgliedern vor, als hätte ihn seine Unnahbarkeit wie ein Raum umgeben, in dem die Luft anders war, Gefängnisluft, vergiftet und schwer zu atmen - über diesen Abstand hinweg schien es nur möglich, ihm die Hand zu schütteln, nicht jedoch ihn zu umarmen. Die Jahre im Staatsgefängnis von Walpole hatten seine unnahbar aufrechte Gestalt gezeichnet und ihn der Vorstellungswelt selbst seiner Familie entrückt, ihn zu einem Fremden gemacht, dem man sich mit banger Achtung und mißtrauischer Fu Leseprobe