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Abschied vom Provisorium

Geschichte der Bundesrepublik 1982-1990

Erschienen am 04.04.2006
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783421067371
Sprache: Deutsch
Umfang: 848 S.
Format (T/L/B): 5 x 24.5 x 18 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Als 1982 Helmut Kohl unter dem Schlagwort der »geistig-moralischen Wende« Kanzler wurde, hofften seine Anhänger auf Stabilität nach den unruhigen siebziger Jahren, seine Gegner fürchteten eine Zeit der Restauration. 1990 lag die erste Hälfte seiner Kanzlerschaft hinter ihm: Sie war geprägt von Auseinandersetzungen um Nachrüstung und Umweltpolitik; Massenarbeitslosigkeit und Rentendiskussion verunsicherten die Bevölkerung, die Medienlandschaft wurde revolutioniert. Andreas Wirsching entwirft ein breites Panorama der achtziger Jahre. Er spürt den Tiefenkräften der bundesdeutschen Gesellschaft nach und beschreibt einen Epochenwechsel, der sich in drei Erscheinungen ausdrückt: einer Individualisierungsspirale, der Expansion des Sozialstaats und der Unterspülung seiner Fundamente infolge des demographischen, ökonomischen und soziokulturellen Wandels. Am Ende stand jedoch das alles überstrahlende Ereignis: die Wiedervereinigung.

Leseprobe

Einführung: Epochenwechsel Dies ist der sechste Band der Reihe 'Geschichte der Bundesrepublik Deutschland', die von 1981 bis 1987 erschien. Daß er anders aussieht als seine Vorgänger, hängt mit seinem Gegenstand zusammen. Denn als die Reihe begründet wurde, spiegelte sie einen sehr spezifischen Zeitgeist wider. In den achtziger Jahren verabschiedete sich die 'alte' Bundesrepublik endgültig von ihrem Selbstverständnis als Provisorium, und als sie im Mai 1989 auf vier Jahrzehnte ihres Bestehens zurückblicken konnte, war sie tatsächlich viel mehr, ja im Grunde 'ein ganz normaler Staat': Sie war zu einem weitgehend souveränen deutschen Teilstaat mit einer eigenständigen Staatsräson und einem etablierten Platz im westlichen Bündnis geworden. In ihr hatten sich neue wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse ebenso entfaltet wie eine spezifische politische Kultur. Als Teilstaat verfügte die Bundesrepublik über eigene Traditionen und eine eigene Geschichte: eine Geschichte, von der viele glaubten, der Zeitpunkt sei nunmehr gekommen, ihr einen angemessenen Platz in der interessierten Öffentlichkeit zu verschaffen. Die Idee, die Geschichte der Bundesrepublik als Teilstaat in einem großen, mehrbändigen und repräsentativ ausgestatteten Werk darzulegen, atmete mithin den gleichen Geist wie das ebenfalls in den achtziger Jahren vorangetriebene Vorhaben, ihre Geschichte im Museum auszustellen. 'Wie sehr sie sich dagegen gesträubt hat, die Bundesrepublik Deutschland hat eine Geschichte, und diese soll erzählt werden.' Nun gehört es zu den größten Ironien der neuesten deutschen Geschichte, daß der tatsächliche Abschied vom Provisorium zu eben jenem Zeitpunkt gleichsam 'passierte', als sich die 'alte' Bundesrepublik definitiv von ihrem Selbstverständnis als Provisorium löste. 1989/90 vollzog sich der Abschied vom Provisorium also in ganz anderer Weise, als ihn die große Mehrheit der Westdeutschen gerade vorzunehmen im Begriff war. Dem entspricht es, wenn das vorliegende Buch eine doppelte Sichtweise eröffnet. Zum einen weiß es sich seinen Vorgängern und der Konzeption der Reihe insofern verpflichtet, als es mehr oder minder strikt aus der Perspektive der (alten) Bundesrepublik geschrieben ist. Zum anderen aber kann und will es natürlich nicht verleugnen, daß sein Standort in der 'neuen' Bundesrepublik liegt. Äußerlich ist dies schon daran erkennbar, daß ihm die bewußt repräsentative Ausstattung seiner Vorgänger fehlt. Verführerisch, aber aus den bereits genannten Gründen inadäquat wäre es, den achtziger Jahren ex post einen wiedervereinigungsgeschichtlichen Subtext einzuschreiben. Den dramatis personae mag sich eine solche Anschauung aufdrängen, faktisch aber hat es ihn nicht gegeben. Andererseits verändert die weltgeschichtliche Zäsur von 1989/91 den Blick auf den Gegenstand, was dieses Buch von seinen Vorgängern unterscheidet. Sie erleichtert zugleich die Antwort auf die Frage, ob es der Historiker überhaupt wagen könne, sich auf einen solchen Stoff der jüngsten Geschichte einzulassen. Denn unstreitig entkräftet der Epochenwechsel den klassischen Einwand einer zu geringen zeitlichen Distanz zum Gegenstand. Wie tief die Zäsur und wie weit entfernt der im folgenden verhandelte Gegenstand zum Teil bereits ist, zeigt sich nicht nur an den politischen Daten. Auch andere, gleichsam stillere Beispiele wie etwa die Geschichte der Wiedergutmachung weisen in die gleiche Richtung. So stimmten in den achtziger Jahren viele Experten darin überein, darunter auch der Nestor der Materie, Walter Schwarz, die Wiedergutmachung sei nun zum Abschluß gekommen. Auch die technisch-kulturelle Entwicklung unterstreicht den Epochenwandel. So stellte etwa die Bundesregierung nach ihrem Wahlsieg vom 2. Dezember 1990 Überlegungen zur künftigen Finanzierung der deutschen Einheit an. Am 8. Januar 1991 beschloß die Koalitionsrunde unter anderem, den Telefontakt um einige Sekunden zu verkürzen, um die dadurch erzielten Mehreinnahmen der Bundespost in die Ge Leseprobe